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Geschichte Nr. 3

 

Eine Welt fällt aus dem Rahmen

 

Es ist manchmal schon komisch, wie die Idee zu einer neuen Geschichte entsteht. Diese Story wurde geboren, als ich in unserem Dorf über die Hauptstraße gehen wollte, die aktuell eigentlich menschenleer ist, wäre mir in diesem Augenblick nicht ein BMW Cabrio entgegen gekommen. Es schaute aus wie neu, das Verdeck war offen, ein Mann und eine Frau mittleren Alters waren die Passagiere. Die Frau trug einen Hut, und das Auto fuhr relativ langsam. Unsere Hauptstraße, die Rua Direita, ist eine Einbahnstraße.

 

Und während mein Blick dem vorbeifahrenden Sportwagen folgte, überkam mich ein seltsames Gefühl. Er und seine Insassen wirkten auf mich, als seien sie irrtümlich auf einem ihnen unbekannten Planeten unterwegs. Sie fielen aus dem Rahmen.

 

Ich möchte anmerken, dass ich BMW-Fan bin. Seitdem ich vor nunmehr ca. dreißig Jahren in Düsseldorf jeden Morgen auf dem Weg ins Büro an einem BMW 635 CSI vorbeiging. Ein sportliches Coupé in dunkelblau. Dem Fahrer bin ich interessanterweise nie begegnet. Das Auto war ein echter Hingucker. Sportlich, kompakt, dynamisch. Klingt wie die Beschreibung meines Traummannes. Aber das nur am Rande.

 

Und ich bin der Spur offenbar gefolgt. Bin nach Bayern gezogen und wohnte mehr als eine Dekade im Umland des größten BMW-Werks in Europa, das in einem Radius von ca. 100 km der größte Arbeitgeber war und sicherlich noch ist. Entsprechend dicht war die Automarke auf den örtlichen Straßen vertreten. Und natürlich fuhr mein damaliger Freund, der in vorgenanntem Werk arbeitete, einen BMW, einen neuen schwaren Z3.

 

Und heute, eine gefühlte Ewigkeit später, lebe ich mit meinem neuen Partner an der Algarve, und er fährt einen BMW X5 in dunkelblau, ein älteres Baujahr (wohl gemerkt das Auto, sein Fahrer ist 10 Jahre jünger als ich!), aber der X5 ist immer noch ein schickes Gefährt.

 

Nun komme ich auf das im ersten Abschnitt genannte Cabrio zurück. Ja, das nagelneue Auto und seine Passagiere fielen aus dem Rahmen. Noch vor zwei Wochen hätte ich das so nicht gesagt, aber da war die Welt noch die alte, nämlich eine andere.

 

Innerhalb der letzten vierzehn Tage hat sich etwas verändert. Ein neues Setting scheint aktiv. Die Koordinaten wurden verschoben. Was vor kurzem noch zum Alltag gehörte, wichtig und richtig war bzw. als unabänderlich bewertet wurde, scheint verschwunden. Auf Zeit oder auf Dauer, wird sich zeigen. Wir haben gelernt, dass die Einschätzung "das ist unmöglich, das passiert nie und nimmer" von der Wirklichkeit überholt wurde. Es gibt neue Prioritäten, es geht nun primär um Grundbedürfnisse, unsere Zukunftspläne sind erst einmal auf Eis gelegt. Wir hängen, bildlich gesprochen, irgendwie in der Luft. Es fehlt der gewohnte Bezugsrahmen, in dem wir uns wie hypnotisiert bewegten und auf den wir uns langfristig verlassen konnten. So schien es.

 

Zu diesem alten Bezugsrahmen gehörten u. a. Status und Geld, Fernreisen, Konkurrenzdenken, das tägliche Hamsterrad, und als ein Lebensziel das schicke BMW-Cabrio.

 

© Solandra (22. April 2020)