Das Ende von Etwas …

 
ist der Titel einer Geschichte von E. Hemingway, die seinerzeit im Deutschunterricht auf dem Stundenplan stand. An den Inhalt kann ich mich, ehrlich gesagt, nicht mehr erinnern, aber der Titel blieb im Gedächtnis. Er kam mir gestern wieder in den Sinn, als ich über die aktuelle Sendung eines YouTubers nachdachte.

 

Sie stellte ein System der Geldanlage auf Grundlage des Bitcoin vor. Für die meisten Zuschauer war nach Minute 5 bereits klar, dass es sich hier um ein sog. Schneeballsystem handelte, hinter dem bekannterweise betrügerische Absichten stehen. Zudem duzte der Moderator seine beiden Gäste, welche er als Gründer des neuen Projekts vorstellte. Sieht so kritischer Journalismus aus, dem sich der Kanal bisher eigentlich verpflichtet fühlte? Nach weiteren 15 Min. habe ich den Ton abgeschaltet.

 

Stattdessen widmete ich meine Aufmerksamkeit dem Live Chat. Aus Neugierde, was andere Zuschauer so dachten. 90 % der Kommentare drückten Empörung und Enttäuschung über diese „Werbesendung“ aus, riefen laut „Betrug!“ Prophezeiten dem Gastgeber das Ende seines Kanals, kündigten an, ihr Abo zu beenden oder klinkten sich ganz aus.

 

Andere flüchteten sich in Humor und Sarkasmus. Im Angesicht der beiden Interviewgäste, die gelernt eloquent versuchten, den Zuschauern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich habe selten so gelacht. Manche Kommentare waren einfach nur klasse, am allerbesten waren jene, die ich hier nicht wiedergeben kann, denn sie verstießen gegen die Etiquette. Der eine oder andere befürchtete im Scherz, das SEK könne gleich vor der Studiotür stehen und schlugen parallel bessere Wege vor, seine Scheinchen an den Mann oder an die Frau zu bringen. Die amüsantesten Vorschläge kamen, wie zu erwarten, von männlicher Seite 😉. Nur am Rande: am nächsten Tag war der komplette Chat gelöscht. Vom Kanalbetreiber. Seine Reaktion auf die Kritik machte die Sache nur noch schlimmer. Sie bestand aus zwei-drei arroganten Sätzen von wegen: „Wem nicht gefällt, was ich hier mache, kann ja gehen.“ Und tschüss.

 

Kurz zum Hintergrund. Der Kanal hat um die 100.000 Follower. War gesellschaftskritisch und informierte über die politischen Highlights des Tages, inkl. gelungener Videos aus den Social Media. Alles gut. Dann gelang dem Betreiber ein wirklich gutes Interview, das mehr als 350.000 Views generierte. Diese Zahl katapultierte den Kanal in eine andere Liga. Er erhielt quasi den Status eines Influencers, die offensichtlich äußerst lukrative Angebote erhalten. Von Parteien oder Firmen, die ihre Botschaft werbewirksam verbreiten möchten. Unter dem Motto: „Bewirbst du mein Projekt, so bekommst du eine Provision. Wirst unabhängig von den eher spärlichen Spenden deiner Follower.“ Anmerkung von mir: Jene, denen du deinen Erfolg ursprünglich zu verdanken hast.

 

Das ist der Moment, wo der Hund ins Wasser springt, wie man in Bayern so treffend sagt. Im übertragenen Sinne: „Mephisto klopft an die Tür und fragt dich nach dem Preis deiner Seele.“ Ich hoffe nur, er war es wert. Ironie aus. „Das Ende von Etwas“ meint den Abschied von einer weiteren Illusion. Ich habe mein Kanal-Abo gekündigt.

 

© Helga Lombardi

Veröffentlicht am 04. Mai 2023