Das gute, alte Thermometer ...

 

Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass Wettervorhersagen nicht immer der erfahrbaren Realität entsprechen. Eventuell war das ja immer schon so, und ich habe nur nicht im Detail darauf geachtet. Auch bei den Temperaturangaben auf den Wetter-Portalen im Internet oder auf meinem Notebook bin ich skeptisch geworden. Die Wetteranzeige in meiner Taskleiste zeigte für Lagos am gestrigen Nachmittag keine Grade mehr an, sondern ein rot-oranges Warnsignal mit der Bezeichnung „Hitze!“, dann wechselte sie um 18 Uhr auf 33 Grad. Wenn man berücksichtigt, dass die Angaben sich auf eine Messung im Schatten beziehen und dass Lagos am Atlantik liegt, ist das eine beachtliche Temperatur. Und ich musste wieder an das gute alte Quecksilber-Thermometer denken, zum Einholen einer zweiten Meinung. Dem ich, ehrlich gesagt, mittlerweile mehr vertraue als den zentral gesteuerten digitalen Wetterdaten.

 

Interessant war auch die Erfahrung, die ich beim Suchen eines Titelbildes machen durfte. Ich fand – unter den frei verfügbaren Fotos – gerade mal zwei, die ein analoges Quecksilber-Thermometer anboten. Alles andere waren digitale Fieberthermometer. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Und ich dachte über eine Alternative nach: Ich könnte unser in Holz gefasstes Quecksilber-Thermometer fotografieren und dieses Bild als Titelfoto verwenden. Es gibt fast immer eine Möglichkeit, wenn man seine grauen Zellen in Bewegung setzt. Jenseits des oft allzu leichten und bequemen Mouseklicks kreuz und quer durchs Netz. Unser nicht selten blindes Vertrauen in die guten Absichten unbekannter Dritter (wie die Ergebnisseiten von Suchmaschinen) gehört m. E. auf den Prüfstand. Denn digital besitzt eine deutlich andere Qualität als analog.

 

Darüber hinaus haben vor allem auch die Wettervorhersagen eine zusätzliche psychologische Komponente. Das wissen wir alle aus eigener Erfahrung. Als ich las, dass die Temperaturen Mitte der Woche wieder deutlich zurückgehen, ging es mir gleich besser. Hätte dort gestanden, es wird Mitte der Woche noch drei Grad heißer, hätte mein Körper allein bei der Vorstellung das vorsorgliche Schwitzen angefangen.

 

Um genau diesen Zusammenhang wird es am Ende des Tages gehen. Unsere Vorstellungskraft provoziert psychologische und damit verbunden körperliche Reaktionen. Ob die Informationen, durch die diese Fantasien getriggert werden, stimmen oder nicht, spielt dabei im Grunde keinerlei Rolle. Wir stellen uns etwas vor, das uns Sorgen oder gar Angst bereitet, und unsere Psyche bzw, unser Körper reagieren dementsprechend. Böse Zungen könnten nun behaupten, dass man diesen Mechanismus bewusst durch Falsch-Meldungen manipulativ missbrauchen kann oder dass dies bereits seit langer Zeit genau so geschieht. Die Frage, ob das überhaupt möglich wäre oder gar absichtsvoll so geplant sein könnte, muss jeder für sich selbst beantworten. Die Verantwortung für unsere Entscheidungen liegt am Ende allein bei uns. Eine Wahrheit, aus der man sich oft am liebsten herausstehlen möchte, aber an dieser Stelle gibt es leider kein Entkommen. Außer, wir nutzen unsere neuen Erkenntnisse als Chance. Wir schalten um auf Eigeninitiative und gehen Schritt für Schritt in die souveräne Selbstverantwortung. Die Wahl liegt bei uns …

 

© HelgaLombardi 2023-06-26